Am Mittwoch den 8.3.2017 war das Badehaus 3 länger geöffnet. Das Café war in einen Veranstaltungsraum verwandelt worden. Die Nachbarschaftshilfe Bad Nauheim hatte zum öffentlichen Diskurs über das Thema „Zukunft Nachbarschaft“ eingeladen. Trotz Regen waren alle Plätze im Badehaus besetzt. Insgesamt konnten die Veranstalter über 100 interessierte Bürger und Bürgerinnen zählen.
Zunächst stellten Studenten der University of Applied Sciences, die Ergebnisse ihres Studienprojektes in der Nachbarschaftshilfe Bad Nauheim e.V. vor. Danach war es möglich die vier Bürgermeisterkandidaten bei einem Statement zur „Nachbarschaft als programmatische Dimension von Stadtentwicklung“ zu vergleichen. Frage der Teilnehmer an Bürgermeisterkandidaten und Studenten rundeten den zweistündigen Diskurs ab.
Diskussion der Studiengruppe und des Vorstands
Nach der Begrüßung stellte der Studiendozent Steffen Hensel das Studienprojekt „Nachbarschaftshilfe als Inklusionsprojekt“ vor, in dem Studenten der Sozialarbeit die Nachbarschaftshilfe in Bad Nauheim ein Jahr lang untersucht hatten. Als Ergebnis ihrer Untersuchungen attestierten die Studenten Frau Navarro, Frau Coda sowie Herr El Hanafizak der Nachbarschaftshilfe ihre zentrale Bedeutung für die inklusive Weiterentwicklung der Stadt. Unter den Stichpunkten „Neubürger“ und „Inklusion“ machten sie deutlich, dass es für das Gelingen von Nachbarschaft nicht genügt, Menschen einzugliedern (Integration). Entscheidend ist vielmehr, dass Nachbarschaft Menschen so einschließt, dass unabhängig von einer vorhandenen Andersartigkeit, die volle und vorbehaltlose Zugehörigkeit zur Nachbarschaft und uneingeschränkte Teilhabe, erlebt wird (Inklusion). Besonders herausgefordert und oft auch überfordert sind Nachbarschaften bei Neubürgern mit Migrationshintergrund. Damit „Neubürger“ das Leben der Stadt bereichern können sind neben bürgerschaftlicher Solidarität und Engagement in besonderer Weise Vereine und Initiativen gefordert. Als zentrales Fazit ihrer Untersuchung regten die Studenten beispielhaft an, wie die Nachbarschaftshilfe ihr Konzept entsprechend weiter entwickeln sollte.
Das Statement der Bürgermeisterkandidaten
(die Reihenfolge der Statements wurde vor der Veranstaltung ausgelost)
Alexander von Bischoffshausen gratulierte im zweiten Teil zur gelungen Veranstaltung und drückte seine Wertschätzung über die menschliche Zuwendung im Rahmen der Nachbarschaftshilfe aus, die nicht nach Gegenwerten fragt. Man könne jedoch auch viel von den Erfahrungen anderen Kulturkreise lernen, in denen selbstlose Hilfe selbstverständlich sei. „Die Flüchtlingskrise ist auch als Chance zu werten, Nachbarschaft und nachbarschaftliche Hilfe auch bei uns neu aufblühen zu lassen“ so von Bischoffshausen. Zunehmend sieht er jedoch durch die sozialen Medien die Gefahr der Abschottung im Rahmen lebendiger Nachbarschaft. Hier sei es Aufgabe der Stadt, lebendige Nachbarschaft durch „Inklusion auf Augenhöhe“ zu fördern und auch Nachbarschaft „baulich“ zu gestalten.
Axel Bertrand eröffnete sein Statement mit dem Wunsch, sich öfter zu einem solchen öffentlichen Diskurs zu treffen und sich nicht nur mit Zahlen zu beschäftigen. „Bad Nauheim ist eine lebendige Stadt, und wir müssen das WIR-Gefühl stärken“, so Bertrand. Bad Nauheim muss für jeden „Meine Stadt“ werden. Dabei übernehme lebendige Nachbarschaft durch die Stiftung von Zuwendung die Rolle der Gesundheitsförderung. Dies könne z.B. vermehrt auch durch die Schaffung von Plätzen geschehen, an denen sich Menschen unterschiedlicher Kulturkreise treffen können. „Nachbarschaft muss gefördert werden und ist ein wesentlicher Bestandteil von Stadtentwicklung“, so Bertrand weiterhin. Dabei können die sozialen Medien unterstützend mitwirken, um Kontakte über den direkten Nachbarn hinaus zu knüpfen. Auf allen Ebenen muss die Identifikation mit Bad Nauheim gelingen, nach dem Motto „Bad Nauheim – Meine Stadt. Hier Wohn‘ ich gerne!“.
Klaus Kress eröffnete sein Statement mit dem Slogan „Hauptsache Bad Nauheim!“. Bad Nauheim sei keine „Schlafstadt“ für Frankfurter Pendler, sondern Bad Nauheim lebt! Zum Thema „Nachbarschaft“ gilt für Kress heute mehr denn je das Zitat von Freiherr von Knigge (1788): „Nächst den Personen deiner Familie bist du am ehesten deinen Nachbarn und Hausgenossen Rat, Tat und Hilfe schuldig.“ „Um das aktive Leben in Bad Nauheim zu fördern, muss die Stadtentwicklung jedoch künftig auch Interessensgruppen mit einbeziehen“ so Kress und schloss sich seinem Vorredner an mit dem Wunsch, mehr Kontakt- und Begegnungsstätten zu schaffen, denn soziale Medien ersetzen diese nicht. Dennoch sei es Aufgabe der Stadt, die Vernetzung –Analog als auch digital – sowie das bürgerschaftliche Engagement zu fördern und zu unterstützen. „Wir müssen die entsprechenden Rahmenbedingungen schaffen und die Kräfte bündeln“, schloss Kress seine Ausführungen.
Frau Britta Weber stellte zum Einstieg Ihres Statements die für sie entscheidende Frage: „Wie wollen wir in Zukunft leben? Zusammen oder Alleine?“ Sie verwies darauf, dass inklusive Gesellschaften die wohlhabenden Gesellschaften unserer Welt sind. Integration und Inklusion könne dabei nicht „von oben“ diktiert werden, sondern müsse von der Mitte der Gesellschaft ausgehen. „Nachbarschaft und nachbarschaftliches Engagement ist ein wesentlicher Schlüssel des Zusammenlebens und trägt auch zur Gesundheit bei“, so Weber. Weber schätzt an der Nachbarschaftshilfe, dass über das Punktesystem für die Hilfeleistungen, alle Fähigkeiten gleich bewerten werden. Die daraus schöpfbare Anerkennung der eigenen Fähigkeiten stärke die gesamte Gesellschaft und trage zu „Reichtum und Wohlbefinden“ des gemeinsamen Zusammenlebens in Bad Nauheim bei.
Publikumsdiskussion & Statements
Im anschließenden offenen Diskurs mit dem Publikum wurden Fragen sowohl an die Studenten als auch die Bürgermeisterkandidaten gestellt. Insbesondere wurden hier nochmals praktische Fragen zum Zusammenleben auch mit den Flüchtlingen in Bad Nauheim gestellt. Alexander von Bischoffshausen führte ein Beispiel aus Schwalheim an, bei dem sich der ganze Ort an der Hilfe für eine syrische Flüchtlingsfamilie beteiligt hat. Die „kleineren“ Strukturen in der Gemeinde bieten hier eher Vorteile. Hier gelte es, überschaubare Strukturen auch in der Kernstadt zu schaffen. Kress verwies bei der Nachfrage nach Begegnungsstätten für nachbarschaftliche Treffen auch an das Erika-Pitzer-Begegnungszentrum in Bad Nauheim. Bertrand betonte, dass wir neue Ansätze in der Stadtentwicklung brauchen. „Wir müssen das Fremde überwinden, damit Nachbarschaft entsteht“ so Bertrand. Britta Weber betonte zum Abschluss, das Neubürger nicht nur Flüchtlinge sind, sondern es auch zahlreiche Neubürger als Neuzugezogene gäbe. „Wir müssen ein System entwickeln“, so Weber, „das Neubürger auch in den Neubaugebieten abholt, um sie in Bad Nauheim zu integrieren“.
Weiterhin wurden von den Teilnehmern auch die Arbeit von Integrationshilfevereinigungen, dem Müfaz und dem Freiwilligenzentrum in Bad Nauheim als besonders wichtig herausgestellt.
Der von den Teilnehmern wiederholt geäußerte Wunsch nach regelmäßigen Veranstaltungen dieser Art bestätigt für den Vorsitzenden der Nachbarschaftshilfe, Steffen Hensel, das „Nachbarschaft in Bad Nauheim ein Zukunftsthema ist, das zum weiteren Diskurs herausfordert“. Aufgabe von Politik und Verwaltung ist es hierbei für die, das Gemeinwesen fördernde Rahmenbedingungen zu sorgen, und mit den Bürgern nicht nur in Wahlkampfzeiten im Gespräch zu sein.
Wir bedanken uns bei allen Helfern und Mitwirkenden, die zum Gelingen dieser Veranstaltung beigetragen haben!
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